00:00:00: Die Maschinolinie war gedacht, um aus Italien oder Deutschland her ein Blitzangriff zu verhindern.
00:00:06: Sie sollte 15 Tage Stand halten, bis die Französische Armee mobil gemacht hatte.
00:00:26: Illusion der Sicherheit, was uns die Maschinolinie 80 Jahre nach Kriegsende lehrt.
00:00:31: Folge 80 von "Frankophil" zum 8. Mai 2025.
00:00:41: Mein Name ist Andreas Noll.
00:00:44: Der Minister des Freien Städtens.
00:00:46: Der Minister des Freien Städtens.
00:00:48: Der Minister des Freien Städtens.
00:00:50: , der die Maschinen im Land hat.
00:00:52: Am 8. Mai 1905.
00:01:16: Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa.
00:01:25: Auch für Frankreich war das ein Tag der endgültigen Befreiung.
00:01:29: Der Krieg ist gewonnen.
00:01:32: Und Frankreich hat ihn gewonnen, rief Charles de Gaulle, der Chef der provisorischen Regierung,
00:01:41: in einer Rundfunkansprache den Franzosen zu.
00:01:45: Der Platz unter den Siegermächten musste sich Frankreich allerdings noch erkämpfen.
00:01:55: Bei der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation in Rans vor 80 Jahren war für die Franzosen
00:02:01: kein Platz auf dem offiziellen Dokument vorgesehen.
00:02:12: Ein französischer Offizier durfte lediglich als Zeuge auf einem gesondert angehefteten Blatt unterschreiben.
00:02:18: Ein symbolischer Hinweis auf Frankreichs politischen und militärischen Bedeutungsverlust nach der Niederlage von 1940.
00:02:27: Die Erinnerung an den Krieg war an diesem 8. Mai allerdings allgegenwärtig.
00:02:33: Noch im März 1945 wenige Wochen vor Kriegsende tobten Gefechte entlang der Marginolinie.
00:02:39: In Befestigungswerken wie dem Vorsimsa Hof bei Beach in Lothringen konnten französische und amerikanische Truppen die Wehrmacht
00:02:46: erst in den letzten Kriegswochen endgültig vertreiben.
00:02:50: Ausgerechnet jene Linie, die Frankreich einst Sicherheit garantieren sollte,
00:02:55: wurde damit zur Kulisse für das letzte Aufbäumen der Wehrmacht.
00:03:00: Frankreichs Marginolinie war weit mehr als ein militärisches Bauwerk.
00:03:04: Sie wurde zur Projektionsfläche.
00:03:07: Für das Bedürfnis nach Sicherheit, für politische Spannungen, für ein tiefsitzendes Trauma.
00:03:14: Im Ersten Weltkrieg hatte Frankreich unter den westlichen Alliierten die höchsten Verluste erlitten.
00:03:20: 1,4 Millionen gefallene Soldaten, rund 4,2 Millionen verwundete.
00:03:25: Kaum ein Dorf, kaum eine Familie, die nicht betroffen war.
00:03:30: Man wusste, dass ab 1934 150.000 Männer nicht geboren wurden, 20 Jahre vorher.
00:03:37: Und das hat man ersetzt durch diesen Beton.
00:03:40: Das hat man nicht so gebaut, weil es ein Wachtraum war.
00:03:44: Das hat einen ganz spezifischen Grund.
00:03:47: Man wollte diese Soldaten, die nicht geboren wurden, im Ersten Weltkrieg durch den Beton ersetzen.
00:03:53: Sagt Mark Halter von der Vereinigung der Freunde der Marginolinie.
00:03:57: Ich habe ihn vor einigen Jahren im Forsch schönen Bur getroffen.
00:04:01: Einen der wenigen Festungswerke, die heute noch besichtigt werden können.
00:04:05: Schönen Bur liegt rund 18 km nordöstlich von Ageno im Elsass.
00:04:11: In dieser Folge von "Frankophil" blicken wir auf ein vermeintlich vertrautes Kapitel mit neun Augen.
00:04:17: Die Marginolinie, ihre Mythen und welche Lehren ihre Geschichte für uns heute bereithält.
00:04:23: Unsere Gäste in dieser Sendung der britische Historiker Kevin Parsmore von der Universität Cardiff,
00:04:29: der in diesem Sommer sein neues Buch "The Marginolin - A New History" veröffentlicht,
00:04:35: sowie der deutsche Historiker Matthias Wächter, der seit vielen Jahren in Nizza lehrt
00:04:40: und unlängst unter anderem Frankreichs Geschichte des 20. Jahrhunderts veröffentlicht hat.
00:04:46: Zwischen 1929 und 1935 baute Frankreich ein gewaltiges Verteidigungssystem gegen Deutschland.
00:04:55: Über 5.000 Bunkerfestungen wie Schönen Bur, 30 Meter tief im Fels, mit Schmalspurbahnen, Generatoren, Küchen, Schlafsälen,
00:05:05: kurz ein unterirdisches Militärdorf.
00:05:09: "Diese sind 3 x 12 Betten übereinander, macht 36 x 4 Schlafräume sind, das sind dann 144.
00:05:18: Und ich schätze immer, dass wir insgesamt 200 Betten anderswo haben, hat es auch noch welche für 600 Mann,
00:05:25: dann können sie selber ausrechnen für ein Bett für drei Mann, die dann nacheinander drin geschlafen haben."
00:05:31: Die Linie zog sich von Lotringen bis an die Schweizer Grenze, in schwächerer Form dann bis in die Alpen.
00:05:37: An der belgischen Grenze wurde sie bewusst offen gelassen, aus Rücksicht auf Belgiens Neutralität.
00:05:43: Militärisch aber scheiterte das Konzept Maginot, benannt nach dem Kriegsminister André Maginot,
00:05:50: der den Auf- und Ausbau einer ausgedehnten Verteidigungslinie entlang der Grenze zu Deutschland in den 20er-Jahren propagiert und gefördert hat.
00:05:59: Doch im Mai 1940 griff die Wehrmacht dort an, wo Frankreich kaum gesichert war, in den Adennen.
00:06:08: Die deutschen Truppen durchbrachen die Front bei Cédon, trafen auf schlecht vorbereitete Reservisten und umgingen die Maginot-Linie.
00:06:17: Während Frankreichs beste Einheiten in Belgien standen, stießen die Deutschen ins Landesinnere vor.
00:06:23: Die Folge einer Umfassung der französischen Armee, die Linie konnte nichts ausrichten.
00:06:29: Dabei hatte Frankreich in diese Befestigungen rund 3 Milliarden Fr. investiert, rund 1,5 Milliarden Euro in heutiger Kaufkraft.
00:06:39: Die Maginot-Linie war technikpur, Panzertürme unterirdischen Netze, Munitionsdepots.
00:06:45: Das ist der 50 cm hochgefahren. Das ist jetzt die Feuerstellung.
00:06:55: Jetzt wird normal abgefeuert.
00:06:58: Wenn alle Waffen der Festung Schönenbuch schießen, verbraucht man hier 1,5 Tonnen Munition pro Minute.
00:07:08: Man kann nicht nach Deutschland schießen, das war so geplant, dass man mitgeschützen nicht nach Deutschland oder Italien schießen kann.
00:07:17: Man hat der Angst, dass man als aggressiv vorgestellt wird.
00:07:21: Aber man sieht von hier aus, da hat man einen wunderbaren Panorama, sieht man Baden-Baden, Karlsruhe, die Schwarzwald-Hochstraße, Schwarzwald und so weiter.
00:07:30: Doch Technik ersetzt keine Strategie.
00:07:34: Mark Halter sagt, 1936 war das Krieg schon verloren für die Franzosen.
00:07:39: Von der Mentalität, von der Politik her, in Frankreich vor dem Krieg, waren die Rivalitäten zwischen Kommunisten und der Rechte so groß,
00:07:49: dass einigen wollten, dass die Deutschen gewinnen, andere wollten, waren eher Pazifist.
00:07:55: Da hat der Hitler mitgemacht und hat sofort gemerkt, die Franzosen werden mich nicht stoppen.
00:08:01: Mental blockiert, politisch gelähmt, diese Lesart ist verbreitet.
00:08:07: Aber greift sie zu kurz? Was sagen militärische Quellen? Was sagt die Forschung?
00:08:13: Der Historiker Kevin Passemore.
00:08:26: Ich behaupte nicht, dass mein Buch die Geschichte der französischen Niederlage von 1940 grundsätzlich neuschreibt.
00:08:33: Aber die vollständige Geschichte der Maginolinie ist bisher nicht erzählt worden, weil sich die Militärgeschichtsschreibung vor allem mit dem Mythos beschäftigt hat.
00:08:42: Ein Mythos, der auf vielen nationalen Stereotypen beruht. Genau diese wollte ich aber hinterfragen.
00:08:49: Die technische Seite, Bewaffnung, Bauweise, das ist gut erforscht, aber was fehlt, sind die Geschichten derer, die dort gekämpft haben.
00:08:57: Die Maginolinie war kein stilles Bollwerk, zeitweise war dort rund die Hälfte der französischen Frontsoldaten stationiert.
00:09:04: Und doch, die Kämpfe an der Linie tauchen in der Geschichtsschreibung oft nur als Randnotiz auf, als Fußnote. Zu Unrecht.
00:09:13: Die Entscheidung für den Bau der Maginolinie fiel in einer Zeit politischer Unsicherheit.
00:09:29: In den 1930er Jahren war Frankreich eine zutiefst gespaltene Gesellschaft.
00:09:35: Linke Regierungen wechselten sich mit konservativen Kabinetten ab. Die Angst vor dem Kommunismus, aber auch vor einem wiedererstarken Deutschlands bestimmte den Ton.
00:09:45: Die Stimmung in der Gesellschaft, besonders.
00:09:48: Wenn man die Lieder hört in Frankreich oder in Deutschland, das sind sie ganz verschieden.
00:09:54: Und wenn man die Filmen sieht in Frankreich, sind die Filmen sehr depressiv. Und das ist ein Zeichen von der Mentalität von damals.
00:10:04: Matthias Wächter erlebt seit mehr als 20 Jahren in Südfrankreich und lehrt in Nizza. Wächter hat sich mit der Zeit der 1930er Jahren in Frankreich besonders beschäftigt.
00:10:15: Die Deutung, dass Frankreich 1940 zusammengebrochen ist wegen den inneren Streitigkeiten, wegen der Verfeindung zwischen Linken und Rechten und insbesondere wegen der Volksfront, die 1936 an die Regierung kam.
00:10:34: Die Deutung wurde zunächst von Pétain vorgetragen, dem Chef des Kollaborationsregimes, dass sich ab Juni 1940 daran machte, die Republik abzuschaffen, eben weil sie nach Deutung Pétains und seiner Anhänger Frankreich geschwächt hatte und insofern nicht in die Lage versetzt hatte, das Land zu verteidigen.
00:11:00: Also Pétain und seine Gesinnungsgenossen nahmen das Militär sozusagen von der Schuld aus.
00:11:08: Es war eine Art Durchstoßlegende, die von Pétain verkündet wurde, dass nämlich die Zivilgesellschaft, die Politik Frankreich, die Republik nicht in der Lage gewesen war, Frankreich auf diesen Krieg vorzubereiten und deshalb auch die Republik abgeschafft werden musste.
00:11:28: Und dieses Narrativ, was er 1940 vorträgt, dient dazu, die Republik zu delegitimieren und abzuschaffen.
00:11:38: Und Dogol dagegen, der dann am 18. Juni zum Widerstand aufruft, der bringt allein militärische Gründe für die Niederlage vor, die schlechte militärische Vorbereitung, die nicht vorhandene Mechanisierung der französischen Armee, er bringt überhaupt keine politischen Gründe ins Feld, gesellschaftliche, soziale Gründe, sondern allein die schlechte technische Vorbereitung des Militärs.
00:12:04: Insofern haben wir bis heute diese unterschiedlichen Deutungsweisen der Liederlage 1940 einerseits die Betonung der gesellschaftlichen Uneinigkeit Frankreichs, der politischen Dissonanzen, die dazu führten, dass man 1940 nicht wirklich vorbereitet war und andererseits der militärischen Vorbereitung auf den deutschen Angriff.
00:12:29: Ich wurde zunächst einmal ein Aspekt einbringen, den ich für sehr wichtig halte.
00:12:35: Das ist der Pazifismus, die Kriegs-Aplehnung in der französischen Gesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg.
00:12:42: Und in dieser Hinsicht der Kriegs-Aplehnung waren sich alle Lager eigentlich einig.
00:12:47: Alle Lager wollten keinen weiteren Krieg mehr.
00:12:51: Und insbesondere die Osnian Combatants, also die Veteranen des Ersten Weltkriegs, die eine sehr starke Interessensgruppe bildeten, wollten partout keinen neuerlichen Waffengang.
00:13:04: Ihr großer Slogan war "La der d'Édère, la der nière, la der nière", der letzte aller Kriege sollte der Erste Weltkrieg gewesen sein.
00:13:14: Und nur deswegen hatten diese unglaublichen Opfer, von denen sie vorhin berichteten, in den Augen der Kriegs-Veteranen einen Sinn, wenn tatsächlich der Krieg als solcher von der Bildfläche verschwinden würde.
00:13:28: Und vor dem Hintergrund dieses Konsenses, der Kriegs-Aplehnung, der natürlich ungünstig ist dafür, dass sich eine Gesellschaft auf einen Waffengang vorbereitet.
00:13:37: Vor diesem Hintergrund kam es, wie Sie richtig sagten, in den 30er Jahren zu starken gesellschaftlichen Frontstellungen, insbesondere durch das Aufkommen des Faschismus.
00:13:49: In Frankreich auch eine Alternative in den 30er Jahren.
00:13:54: Der Faschismus führt dazu, dass sich die Republikanische Linke, also die Radikaux, gemeinsam mit den Sozialisten und den Kommunisten zu einer antifaschistischen Abwehrfront, der Volksfront den Frontpopulaire vereinigen, 1936 die Wahlen gewinnen.
00:14:14: Und hier haben wir dann tatsächlich zum ersten Mal in der dritten Republik, dass die Linke mit den Kommunisten als nicht als Regierungspartner, aber schon als Bündnispartner an die Macht kommen und dadurch die politischen Frontstellungen sich noch einmal verschärfen.
00:14:32: Wie jetzt haben Sie gerade ja sehr anschaulich erklärt, wie unterschiedlich eben auf die Gründe und auf den ersten Weltkrieg und die 30er Jahre geblickt wurde und die Gründe nachher für die Niederlage im Westfälz-Zug gegen die Deutschen, gegen Hitler, Deutschland.
00:14:50: Sie haben Schalde Gull zitiert und auf der anderen Seite Marschal Pétein über den emotionalen Zustand Frankreichs in den Jahren vor 1940 und die Konsequenzen hat ja auch ein Kollege, wenn man so sagen kann, von ihnen berichtet und geschrieben, nämlich Marc Block, ein Historiker, der das bis heute in Frankreich präsente Buch "L'étrange de Fête" veröffentlicht hat,
00:15:15: und das hat sich dann unmittelbar nach dieser französischen Niederlage, die seltsame Niederlage heißt, das übersetzt. Die sterblichen Überreste von Marc Block werden im Juni in das Pantheon aufgenommen in Paris.
00:15:26: Marc Block sieht die Hauptursache für den Zusammenbruch Frankreichs im Zitat "Versagen des französischen Geistes". Er kritisiert ein angeblich inkompetentes Oberkommando, glaubt aber auch, dass eine eigennützige politische Klasse maßgeblich zur Niederlage beigetragen hat. Was hat er damit gemeint?
00:15:46: Zunächst einmal führt er sehr detailliert das Versagen der Militärführung aus. Ein großer Teil des Buches wird davon eingenommen von seiner Deutung des militärischen Versagens einer veralterten Militärführung, die in den Kategorien des Ersten Weltkriegs stecken geblieben war und die sich nicht auf die moderne Kriegsführung hatte einlassen können.
00:16:15: Erst nach mehreren Seiten, die über das militärische Versagen gehen, was er in verschiedensten Details ausführt, kommt es überhaupt erst zur Politik, zur Gesellschaft.
00:16:28: Da ist ganz ähnlich, wie Sie in Ihrer Einleitung formuliert haben, die Auffassung, dass die einzelnen politischen Gruppierungen zu eigennützig an ihren individuellen Interessen festgehalten hätten und sich insofern nicht auf das Gemeinsame, das die Kriegsvorbereitung bedeutet, hätte, haben einlassen können.
00:16:55: Also Landesverteidigung wurde im Grunde, so schreibt er ja auch, zum Spielball politischer Rivalitäten. Politiker priorisierten ihre Karriere über nationales Interesse. Wie müssen wir uns das in der Praxis vorstellen, an welchen Entscheidungen macht sich das fest?
00:17:12: Man könnte zum Beispiel einmal bringen, dass Jahr 1936, wo die Volksfront an die Macht kommt in Frankreich und im selben Jahr in Spanien der Bürgerkrieg beginnt und die Republik, die spanische Republik, großen Gefährdungen ausgesetzt ist und ist rot, dass sie durch eine faschistische Regierung in der
00:17:42: Region ersetzt wird. Vor diesem Hintergrund findet unter insbesondere der Regierung von Leon Blum eine Reflexion statt. Was machen wir denn eigentlich? Wie sieht es bei uns aus? Stehen wir dem einer möglichen, einen möglichen Angriff durch einen faschistischen Gegner hinreichend vorbereitet gegenüber und die Antwort von Leon Blum, dem Ministerpräsidenten der Volksfrontregierung ist nein und er beschließt die Aufrüstung.
00:18:10: Er beschließt die Aufrüstung der französischen Armee. Andererseits aber führt diese Entscheidung zu Fraktionen innerhalb seiner eigenen Regierung. Die linken Teile seiner Regierung möchten, dass das Geld nicht für Waffen, sondern für Brot verwendet wird und die Kriegsvorbereitung, die Blum damit implizit in Angriff nimmt, steht dem Ziel des Pazifismus.
00:18:39: Ein verbindendes Ideal der Linken entgegen. Insofern sind die beiden Ideale der Volksfront Antifaschismus und Pazifismus stehen plötzlich einander gegenüber. Wer antifaschistisch sein möchte, muss sich auf einen Krieg vorbereiten.
00:18:58: Sie haben jetzt mehrfach den Pazifismus in den 30er Jahren erwähnt. In Frankreich hat die Politik durch die Konzentration auf den Pazifismus und auch der in der Gesellschaft auch sehr weit verbreitet war. Hat die dadurch mögliche Pläne der Militärs verhindert, wenn ich das mal so sagen darf, robustere Verteidigung gegen Deutschland zu organisieren?
00:19:20: Man könnte sagen, dass wegen des Pazifismus manche entschlosseren Haltungen gegenüber Hitler Deutschland nicht möglich waren oder als nicht durchsetzbar garten. Etwa als Deutschland das Rheinland remilitarisiert entgegen den Bestimmungen des Versailles Vertrags hätte Frankreich eingreifen dürfen und damit verhindern können, dass sich Deutschland progressiv weitestellt.
00:19:49: Man stärkt, dass an der Ostgrenze von Frankreich wieder eine Bedrohung entsteht. Man hat es nicht getan, weil man auch eine krigsbereite Haltung, die das impliziert hätte, für nicht durchsetzbar hielt.
00:20:05: Ein weiteres wichtiges Datum, entscheidendes Datum ist 1938 mit dem München Abkommen, wo Frankreich auf die britische Linie des Appeasement, also der Beschwichtigung der hitlerschen Expansionspläne einschwängt und den eigenen Verbündeten die Tschechoslowakei sozusagen verkauft, ohne dass die Tschechoslowakei überhaupt teilnimmt an den Unterredungen in München, wird ihre Territorik,
00:20:34: ihre territoriale Auflösung sozusagen beschlossen, um den Frieden zu erkaufen. Wiederum ist da im Hintergrund der französischen Politiker, dass eine krigsbereite Haltung in diesem Moment politisch nicht durchsetzbar gewesen wäre.
00:20:55: Interessant ist ja auch die Entwicklung des Wehrdienstes. Drei Jahre beträgt die Dauer zunächst nach dem und während des Ersten Weltkrieges oder unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg, glaube ich.
00:21:06: Und nach dem Ersten Weltkrieg bleibt man dann bei den drei Jahren, man hat diese drei Jahre gewählt, um das zahlenmäßige französische Defizit gegenüber dem deutschen Heer auszugleichen, also vor dem Ersten Weltkrieg, von 1914.
00:21:18: 1923 wird dann auf 18 Monate heruntergestuft, hat finanzielle Gründe, aber auch um die Jahrgänge nach diesen, wir haben ja darüber gesprochen, nach diesen gewaltigen Verlusten des Ersten Weltkriegs zu entlasten.
00:21:30: 1928 kommen dann zwölf Monate, dann kommt Hitler an die Macht und als Reaktion auf die Wiederaufrüstung in Deutschland wird 1935 der Wehrdienst auf 24 Monate verlängert.
00:21:42: verlängert. Die Volksfrontregierung..
00:21:45: Leon Bloom, den Sie ja gerade schon erwähnt haben, die wollte die Dauer 1936 dann wieder
00:21:50: auf zwölf Monate senken, hat dann der Senat blockiert, ist also nicht durchgekommen.
00:21:54: Um dann mit Kriegsausbruch am 1. September 1939 Reservisten und Wehrpflichtige ohne Befristung
00:22:02: einzuberufen.
00:22:03: Das klingt ja aus heutiger Perspektive geradezu absurd, dass man 1936 noch den Wehrdienst verkürzen
00:22:12: wollte.
00:22:13: Ich würde für einen nochmal mit Ihrer erlaubnislichen Einschritt zurückgehen, nämlich in die 20er
00:22:17: Jahre.
00:22:18: Wir sollten natürlich auch nicht vergessen, dass eine konfrontative Haltung gegenüber
00:22:22: Deutschland nicht die einzige Geschichte dieser Beziehungen zwischen den Kriegen war, sondern
00:22:31: wir auch die Phase einer Verständigungspolitik mit Deutschland haben.
00:22:35: Wir haben Brian Aristide, Brian, der ein Architekt der französischen Deutschlandpolitik ist in
00:22:42: dieser Phase der Verständigung und man in dieser Zeit im Umfeld des Abkommens von Locarno,
00:22:50: des Beitretts Deutschlands und vom Völkerbund realistisch darauf hoffen konnte, dass es
00:22:56: zu kooperativen Beziehungen kommt, dass die Streitschlichtung, also die Arbitrage, diese
00:23:02: große Idee des Völkerbundes im Mittelpunkt der deutsch-französischen Beziehungen stehen
00:23:07: würde und dass man auf einen dauerhaften Frieden hoffen konnte.
00:23:12: Diese Überlegungen stehen natürlich im Hintergrund.
00:23:17: Andererseits war die Volksfront eine sehr komplexe Koalition, eine Koalition, die von
00:23:23: den Bürgerlichen Linken, also von den Linken Republikanern, den Radikow bis zu einer stark
00:23:32: antimilitaristisch, antifaschistisch, radikalpazifistisch gesonnenen Linken und internationalistisch
00:23:41: gesonnenen Linken reichte.
00:23:43: Insofern sind die Entscheidungen im Hinblick auf die Wehrpflicht auch vor diesem Hintergrund
00:23:49: zu sehen.
00:23:50: Mitte der 30er Jahre war die Maschinoligne dann ja fertig erstellt.
00:23:56: Wie würden Sie die Reaktion der Gesellschaft in dieser Zeit darauf beschreiben?
00:24:00: Gehen die Franzosen davon aus, dass diese Festungen tatsächlich vor dem Aggressor, vor einem aggressiven
00:24:07: Hitler-Deutschland das Land schützen werden?
00:24:10: Die französische Bevölkerung braucht sehr lange, um sich auf die Notwendigkeit oder die
00:24:18: Unvermeidbarkeit eines neuerlichen Kriegs mit Deutschland einzulassen.
00:24:23: Eigentlich bis ins Jahr 1939, in dem dann auch für alle politischen Lager die möglichen
00:24:33: Alternativen sich als Druckschlüsse erweisen.
00:24:36: Etwa die von den radikalen, rechten, geheagte Idee, man könne gemeinsam mit Hitler gegen
00:24:46: den Bolschewismus vorgehen.
00:24:48: Eine unter den Faschisten Frankreichs verbreitete Idee war, lieber Hitler als Leon Blum, weil
00:24:57: man gemeinsam mit Hitler gegen den so verhassten, bei den rechten so verhassten Bolschewismus
00:25:03: vorgehen konnte.
00:25:05: Andererseits die Orientierung an der Sowjetunion, die für die französischen Kommunisten natürlich
00:25:10: verbindlich war, wurde für sie zu einem Druckschluss als die Sowjetunion mit Hitler ein Nicht-Angriffspakt
00:25:18: schloss.
00:25:19: Also diese Alternativen, die sich als Druckschlüsse herausstellen.
00:25:25: Dafür musste man bis zum Jahr 1939 wachen, sodass der Pazifismus einer Kriegsbreitschaft
00:25:32: Platz macht.
00:25:33: Aber dann, als Frankreich in den Krieg geht, kommt es ja zunächst einmal zur drohl-de-gär
00:25:41: zu dem Sitzkrieg, wo nur ganz wenig stattfindet, wo die Einheiten in der Maschinolinie sitzen
00:25:48: und darauf warten, dass es zum Krieg kommt.
00:25:51: Und in dieser Phase, und das ist auch ein ganz entscheidender Punkt, und in dieser
00:25:55: Phase auch der innere politische Konsens weitererodiert in der Phase dieser drohl-de-gär.
00:26:02: Das darf man auch nicht vergessen, dass Frankreich, als es zum anderen kommt, ja schon mobilisiert
00:26:09: ist, mehrere Monate mobilisiert, ist diese Truppen aber nichts tun können.
00:26:14: Andererseits, der Kommunismus bereits von der Regierung bekämpft wird.
00:26:19: Wegen des Hitler-Stalinins-Pakts sind die Kommunisten verboten.
00:26:23: Viele gehen ins Exil, viele werden verfolgt von der Regierung.
00:26:27: Anstatt sich auf die Verteidigung gegen Hitler-Deutschland zu konzentrieren, führt die Regierung
00:26:34: Dalladiers diesen Seitenkampf sozusagen gegen den Kommunismus als eine innere fünfte
00:26:40: Kolonne.
00:26:41: Die politische Debatte in Frankreich in den 1930er Jahren uns angeschaut und auch schon
00:26:47: in den Sitzkrieg thematisiert, Zeit also noch einmal detaillierter auf die militärischen
00:26:52: Strategien in Frankreich zu blicken.
00:26:54: Und dazu hat Kevin Parsmore in seinem Buch ausführlich Stellung bezogen.
00:26:59: Die Maginolinie war keine Unmittelbarung.
00:27:11: Es gab eine wunderbare Reaktion auf den Ersten Weltkrieg.
00:27:14: Natürlich zog das französische Militärlehren aus dem Krieg.
00:27:18: Aber es gab nicht die eine Lehre.
00:27:20: Viele sprachen von den "Lessons of the War", aber niemand war sich einig, worin sie eigentlich
00:27:26: bestanden.
00:27:27: Der Bau von Befestigungen hatte in Frankreich bis Ende der 1920er Jahre keine Priorität.
00:27:33: Wenn es also eine Reaktion auf einen Trauma war, dann war es ein verspätetes Trauma.
00:27:39: Bis Ende der 1920er Jahre war ein schneller Angriff auf Deutschland, und zwar von der
00:27:45: belgischen Grenze aus, möglichst gemeinsam mit östlichen Alliierten, um Deutschland
00:27:49: in zwei Teile zu spalten, die Priorität.
00:27:52: Auch Peter, den man später mit der defensiven Haltung in Verbindung gebracht hatte, befürwortete
00:27:58: diesen Plan.
00:27:59: Erst der politische Kontext der Locarno-Verträge und der vorzeitige Abzug aus dem Rheinland
00:28:04: 1930 führten zu einem Strategiewechsel.
00:28:08: Die Marginolinie war nicht nur militärische Vorsorge, sondern auch ein politisches Signal.
00:28:15: Gebaut wurde sie zwischen 1929 und 1935.
00:28:20: Doch schon ab 1934 regte sich innerhalb der Armee Kritik daran.
00:28:26: Neue Kommandeure wie Végant und Gamlain traten an die Spitze, beide weniger Verfechter der
00:28:32: Offensive, aber überzeugt von der Bedeutung beweglicher Kriegführung.
00:28:37: Die großen Festungen waren technische Meisterwerke.
00:28:44: Aber auch Ausdruck eines autoritären staatlichen Denkens.
00:28:48: Jeder Schacht, jeder Bunker war durchorganisiert.
00:28:51: Die Hierarchien waren star, Disziplin ersetzte Eigenverantwortung.
00:28:57: Kevin Parsmore beschreibt das als militärische Variante des Taylorismus.
00:29:01: Fabrikstrukturen wurden auf den Krieg übertragen.
00:29:05: Der Mensch wurde Teil einer Maschine und hatte kaum Raum für Initiativen.
00:29:10: Bei der Planung der Marginolinie prallten zwei Lager aufeinander.
00:29:20: Die einen forderten ein Netz kleiner Bunker, jeweils von Infanterietrupps besetzt.
00:29:25: Die anderen wollten große Festungsanlagen, die späteren Marginofor, mit bis zu 1000
00:29:31: Mann Besatzung, streng hierarchisch organisiert, fast wie industrielle Großbetriebe.
00:29:36: Raum für Eigeninitiative gab es dort kaum.
00:29:40: Dieser Grundkonflikt wurde nie aufgelöst.
00:29:43: Genau das ist eine der überraschenden Erkenntnisse meiner Forschung.
00:29:46: Es widerlegt die Vorstellung, die Marginolinie sei bloß eine automatische Folge des Ersten
00:29:52: Weltkriegs gewesen.
00:29:54: In Wahrheit war sie ein Spiegel ungelöster militärischer Grundsatzfragen.
00:29:58: Und noch mehr.
00:30:08: Die Marginolinie war auch eine Reaktion auf politische und gesellschaftliche Umbrüche.
00:30:13: In Frankreich hatte sich die Demokratie nach 1918 weiterentwickelt, etwa durch die Öffnung
00:30:19: des Offizierkurs.
00:30:21: Gleichzeitig erstarkten Kommunismus und separatistische Bewegungen, gerade im Grenzgebiet
00:30:26: von Elsaus Lothringen, wo die Linie ja verlief.
00:30:29: Die Marginolinie war also nicht nur Verteidigungsbau, sie war auch Bollwerk gegen Veränderung,
00:30:35: ein Versuch, die bestehende Ordnung abzusichern.
00:30:38: Militärisch, gesellschaftlich und politisch.
00:30:42: Welche Rolle sollte die Marginolinie eigentlich spielen?
00:30:51: War sie als Bollwerk zur Verteidigung gedacht oder eher dazu Zeit zu gewinnen, um die Armee
00:30:58: zu mobilisieren?
00:30:59: Selbst innerhalb des französischen Generalstabs war diese Frage umstritten.
00:31:04: Während konservative Kräfte auf statische Verteidigung setzten, wuchs ab Mitte der 1930er
00:31:10: Jahre die Unterstützung für beweglichere Kriegführung, einschließlich motorisierter
00:31:15: Verbände und Panzerdivisionen.
00:31:16: Die Linie spiegelte diesen Zwiespalt wieder, halb technisches Großprojekt, halb politisches
00:31:23: Symbol.
00:31:24: Kevin Parsmore hat in seinen Recherchen die wenig beachtete Phase vor dem eigentlichen
00:31:30: Westfellzug beleuchtet, die Monate des Sitzkriegs von Herbst 1939 bis Mai 1940, als sich deutsche
00:31:38: und französische Truppen gegenüberlagen, lauant, mit kleineren Gefechten, aber ohne
00:31:43: Großoffensive.
00:31:44: Mehr als 1300 Soldaten starben in dieser Übergangszeit und beide Seiten sammelten Erfahrungen.
00:31:51: Operativ gesehen war Frankreich gezwungen, defensiv zu agieren, weil der Aufbau der Streitkräfte
00:32:01: schlicht zu lange dauert.
00:32:02: Zwar verfügten deutsche und franzosen letztlich über ähnlich große Armeen, doch die Deutschen
00:32:07: konnten ihre Truppen wesentlich schneller mobilisieren.
00:32:10: Frankreich setzte daher auf eine Anfangsverteidigung mit dem Ziel, die ersten Gefechte zu gewinnen.
00:32:16: Gleichzeitig kam es jedoch durchaus zu einer taktischen Erneuerung.
00:32:21: Interessanterweise gerade in den vorgeschobenen Posten der Maschinolinie.
00:32:25: Denn sowohl die Französischen als auch die deutschen Streitkräfte sahen sich mit einer
00:32:29: Situation konfrontiert, mit der eigentlich niemand wirklich gerechnet hatte, einem sogenannten
00:32:34: Sitzkrieg.
00:32:35: Einer Phase in der offiziell wenig geschah, in Wahrheit aber in der Zone zwischen der
00:32:41: Maschinolinie und den deutschen Befestigungen durchaus Kämpfe stattfanden.
00:32:45: Diese Übergangszeit wurde zum Trainingsfeld.
00:33:04: Die Franzosen reformierten ihre Reglements bereits 1935, um die Eigenverantwortung kleinere
00:33:10: Einheiten zu stärken, angeregt auch durch Beobachtungen deutscher Taktik.
00:33:16: Nicht alle Truppen profitierten gleichermaßen.
00:33:18: Doch es gab Fortschritte.
00:33:20: Spezialisierte französische Patrouillen agierten effektiv, auch wenn es an Ausrüstung mangelte,
00:33:26: etwa Maschinenpistolen, mit denen die Deutschen in Wald und Nachtkämpfen im Vorteil waren.
00:33:31: Die besten deutschen Einheiten trafen später bei Cédon auf die am schlechtesten ausgebildeten
00:33:49: französischen.
00:33:50: Diese Reservisten hatten oft nie an den vorgeschobenen Posten der Maschinolinie gedient.
00:33:55: So kam es 1940 zu einem operativen Versagen.
00:33:59: Der deutsche Durchbruch gelang und hinter den Linien war kaum Widerstand zu organisieren.
00:34:05: Die deutschen Truppen konnten ins Landesinnere vorstoßen und die besten französischen Verbände,
00:34:10: die in Belgien standen, einkesseln.
00:34:12: Was oft vergessen wird, die Geschichte der Maschinolinie endete nicht 1945.
00:34:28: Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Befestigungsanlagen militärisch genutzt.
00:34:33: Von der französischen Armee während des Kalten Krieges.
00:34:36: In den 1950er Jahren wurden einige Festungen modernisiert, um sie in ein Abwehrsystem gegen
00:34:43: einen möglichen sowjetischen Angriff zu integrieren.
00:34:46: Doch mit dem Aufkommen der Atomwaffen und einer neuen NATO-Strategie verlor die Linie
00:34:52: dann irgendwann an Bedeutung.
00:34:54: Zum Abschluss wollen wir noch einmal den Blick weiten in die Gegenwart.
00:34:59: Denn so historisch das Thema auch erscheint, die Fragen, die sich vor 90 bzw. 85 Jahren
00:35:06: an der Maschinolinie gestellt haben, sie erinnern doch stark auch an heutige Diskussionen über
00:35:12: die Sicherheit in Europa, über Aufrüstung, die richtige Verteidigungstrategie, aber
00:35:17: auch gesellschaftliche Resilienz, wie es so schön heißt.
00:35:21: In Frankreich werden diese Fragen längst sehr offen gestellt.
00:35:25: Nicht nur, aber auch vom Staatspräsidenten.
00:35:28: Anfang März richtete sich Emmanuel Macron per Fernsehansprache an die Nation.
00:35:48: Wegen der internationalen Situation, wie er sagte, und den Konsequenzen für Frankreich.
00:35:55: Macron präsentierte Schaubilder über die russischen Aufrüstungspläne für die kommenden
00:35:59: Jahre.
00:36:00: Mehr Panzer, mehr Soldaten.
00:36:02: Russland, so der Präsident, ist zu einer Bedrohung für Frankreich und Europa geworden,
00:36:08: während ich hier spreche, aber auch für die Zukunft.
00:36:11: Vor dem Sommer will die Regierung ein Überlebenshandbuch für Krisen und Notfälle an die Bürger
00:36:26: schicken.
00:36:27: Matthias Wächter.
00:36:29: Historiker sind immer sehr vorsichtig damit, aus der Vergangenheit Parallelen zur Gegenwart
00:36:33: zu ziehen.
00:36:34: Aber sehen Sie derzeit gewisse Parallelen zurzeit vor 80, 90 Jahren in Frankreich?
00:36:41: Der Tat muss man mit solchen Parallelen sehr vorsichtig sein, auch weil eine Periode hinter
00:36:48: uns liegt, in der die Fragen von Sicherheit und Verteidigung anders diskutiert wurden.
00:36:56: Wir haben die Periode des Kalten Kriegs hinter uns, die Strategie der Abschreckung, der Nuklearabschreckung,
00:37:01: die Präsenz nuklearer Waffen in der Welt.
00:37:05: Das ist eine andere Situation.
00:37:06: Und ganz wichtig, wir haben ein Akteur der Weltpolitik, der nicht mehr zu übersehen ist.
00:37:14: Das sind die Vereinigten Staaten, die waren damals, spielten sie in Europa, keine Rolle
00:37:20: mehr.
00:37:21: Sie hatten sich aus dem Sicherheitssystem zurückgezogen, bis sie dann erst unter Roosevelt
00:37:26: wieder auftraten als ein weltpolitischer Aktuell.
00:37:30: Vor diesem Hintergrund muss man parallel sehr vorsichtig behandeln, was allerdings
00:37:38: zutrifft auf unsere heutigen westlichen Gesellschaften ist, die Kriegsmütigkeit oder der Pazifismus,
00:37:45: der Unwillen die Möglichkeit eines Krieges zu bedenken und Politik darauf auszurichten,
00:37:55: was meines Erachtens auch für unsere heutigen Gesellschaften zutrifft, sind die Spalten,
00:38:04: die durch einen konflikt, einen bewaffneten Konflikt in unseren eigenen Gesellschaften
00:38:10: auftreten können.
00:38:11: Ich erwähnte den Spanischen Bürgerkrieg 1936, der in Frankreich zu schweren Dissonanzen
00:38:19: und politischen Reorientierungen verschiedener Menschen führte.
00:38:23: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist eine ähnliche Situation, wo es für
00:38:30: uns westliche Gesellschaften und unsere politischen Kultur nicht eindeutig ist, wie wir uns orientieren
00:38:37: sollen und die Spaltungen in allen unseren westeuropäischen, in unseren EU-Gesellschaften
00:38:47: zwischen Menschen, die einerseits sich an den Vereinigten Staaten orientiert haben, zwischen
00:38:53: Menschen, die sich an einer europäischen Autonomie, einer strategischen europäischen Autonomie
00:39:00: orientiert haben, zwischen denen, die sich als Pazifisten präsentieren und schließlich
00:39:06: denjenigen, die sich die Offensiv-Putin unterstützen, diese Spaltungen, die in allen unseren Gesellschaften
00:39:14: festzustellen sind, die bleiben weiterhin bestehen und werden es für die Europäische Union
00:39:22: schwierig machen, unsere Gesellschaften auf eine einheitliche, auf eine gemeinsame Linie
00:39:28: einzuschören.
00:39:29: Parallelen könnte man womöglich auch beim Thema Aufrüstung sehen.
00:39:34: Wenn wir uns die NATO Ostflanke anschauen, Frankreich, Polen, Deutschland, die großen
00:39:39: Länder in der Europäischen Union rüsten, derzeit massiv auf oder wollen massiv aufrüsten,
00:39:46: da geht das Geld vielleicht nicht so sehr in Betonbauwerke, aber auch von einem Wall
00:39:52: an der NATO Ostflanke ist ja die Rede, die Polen investieren in Grenzbefestigungen.
00:39:58: Zwischenzeitig wurde auch mal über einen Drohnenwall gesprochen.
00:40:02: Beobachten wird da eventuell eine neue, ja, wenn man so etwas zuspitzt, Maschinomentalität,
00:40:08: also Vertrauen auf Technik und Infrastruktur als Sicherheitsgarant gegen einen erneut.
00:40:15: Diese Parallele kann man ja auch ziehen, revanchistisch gesinnten Gegner im Osten.
00:40:20: Das ist ja grundsätzlich nichts schlechtes, wenn man sagt, man vertraut auf moderne Technologie,
00:40:26: man versucht diesen, einen revanchistisch gesinnten rivalen, weltpolitischen rivalen
00:40:33: durch einen technologischen Vorsprung einzugrenzen und abzuschrecken.
00:40:39: Insofern, ihre Unterhaltung mit den britischen Kollegen über die Maschinolinie, werden
00:40:43: ja auch deutlich, dass es von vornherein keine schlechte Idee gewesen ist, sich auf diese
00:40:50: Weise vor einem aggressiven Nachbarn zu schützen.
00:40:53: Also wenn Sie diese Parallele ziehen wollen, finde ich Sie nicht unbedingt eine negative
00:40:58: Parallele.
00:40:59: Würden Sie denn sagen, dass es heute wieder ein Mangel an strategischem Denken gibt,
00:41:07: dieser Mangel, wenn wir da nochmal an den Anfang des Gespräches zurückblicken, an
00:41:13: der Block, die war ja in Frankreich im Europa der 30er Jahre festzustellen, ein unzureichendes
00:41:21: strategisches Denken, vielleicht zu viel Vertrauen in Technik, ist das auch eine Parallele, die
00:41:27: man heute wieder erkennen kann?
00:41:29: Ich würde da etwas anders ansetzen und zunächst einmal sagen, dass wir als Europäer eine gemeinsame
00:41:37: Verteidigung denken müssen.
00:41:39: Das haben wir noch nicht geschafft.
00:41:41: Wir haben uns was unsere Verteidigung anbelangt, unsere europäische Verteidigung an den Vereinigten
00:41:46: Staaten orientiert und natürlich auch strategisch an den Vereinigten Staaten orientiert.
00:41:51: Insofern müssen wir erst einmal, bevor wir überhaupt kritisieren können, wie strategisches
00:41:57: Denken aussieht, müssen wir erst einmal ein europäisches, strategisches Denken entwickeln.
00:42:03: Und ich begrüße es sehr, dass die Europäische Union dabei ist, dass die Repräsentantinnen
00:42:10: für Sicherheit und Verteidigungspolitik dabei ist, darüber nachzudenken, dass die Präsidentin
00:42:15: der Europäischen Kommission dabei ist, darüber nachzudenken, wie wir in Europa Strategie
00:42:21: gemeinsam und realistisch denken können in einem Schritt für Schritt Prozess und nicht
00:42:28: mit einer plötzlichen Ablösung von der transatlantischen Sicherheitsgemeinschaft oder bislang
00:42:35: utopischen Vorstellungen wie einer europäischen Armee, sondern Schritt für Schritt dazu
00:42:40: kommen, dass wir Strategie europäisch denken.
00:42:43: Frankophil, Folge 80, zum 8. Mai 2025 mit den Historikern Matthias Wächter und Kevin
00:42:55: Passemore.
00:42:56: Wissenschaftliche Begleitung, Landry Charié.
00:42:59: Der Dank für Förderung und Unterstützung geht an das Gustav Stresemann-Institut in
00:43:03: Bonn und den deutsch-französischen Burgerfonds.
00:43:07: Der Mikrofon war Andreas Noll.
00:43:09: [Musik]
00:43:25: [MUSIK]